< jottwee.de | Sprache - Schrift - Musik | Leben im Rhythmus |
Black Rider

tom waits in hanau

28 | 04 | 2000
Tom Waits in Hanau – oder: die Macht der Abonnenten
Hanau gibt sich Mühe; gibt sich ein Kulturquartal mit wohlfeilem Informationsprospekt.  Hanau gibt sich als Oberzentrum; gibt Borroughs, Waits und Wilson. Hanau gibt dem Theater Quedlinburg die Stadthallenbühne frei für den „Black Rider“. (Daß auf den Eintrittskarten schokoriegelmäßig „Black Raider“ steht, kann ja mal passieren). Einer, der nur sporadisch das Hanauer kulturelle Treiben aufsucht, ist überrascht: kurze Zeit nach Beginn des Kartenvorverkaufs will er drei für die Vorstellung bühnennahe Klappsitze mieten. Doch erst ab Reihe siebzehn, im Feldstecherbereich, gibt es Billets zur Auswahl. Alle Achtung, die Hanauer! Kaum hören sie vom Einzug des Black Riders in ihre Stadt, stürmen sie die Vorverkaufskassen. Hier wird ein annährend „progressives“ Stück nicht im Kneipen-Nachtprogramm versteckt, hier geht Tom Waits’s Werk fast in nullkommanix dem Ausverkauft entgegen. Und das an einem schnöden Werktag. Das ist der Beweis:
Hanau braucht ein tolles, neues Theater, die Kulturträger der Stadt haben es sich einfach verdient! Wo einen neuen Musentempel, wenn nicht hier! - Im angenehmen Bewusstsein, unter seinesgleichen zu sein, mischten sich die Kartenbesitzer aus Reihe siebzehn unter die Besucherschar vor den Toren der heiligen Stadthallen und genossen die Abendsonne. Alles war so, wie es sich gehörte: es gab Programme, die Garderoben waren befraut, die Sektbar war fit für die Pause. Sogar der Gong gongte mit angenehmer Schwingung. Wie finster dann allerdings die Gruft der Enttäuschung, in der die Theaterbesucher verschwanden: ganze Reihen unbesetzter Stühle erstreckten sich vor Reihe siebzehn. In Hanau schien eine Epidemie ausgebrochen zu sein. Sicher: es gab menschliches Leben im vorderen Teil der Stadthallensaales. Aber welche Lücken, welch freier Raum! Das, was da so nah und für Normalsterbliche doch so unerreichbar lag, war das Hoheitsgebiet der Abonnenten. Wohl verschreckt von den Vokabeln „progressiv“, „modern“ usw., schonte das auserwählte Volk sein Gemüt an diesem Abend. Andere aus ihren Reihen setzten sich der Gefahr des Experiments aus, widerstanden aber nur teilweise. Schon vor Beginn der Pause begann eine Völkerwanderung, als würde am Freiheitsplatz der letzte Bus nach Buffallo fahren. Diskretere Seelen versickerten während der Erfrischungszeit im Außenbereich. So geschahs und in der zweiten Hälfte des Events war man unter sich. Die Schauspieler, das Stück und das Rumpfpublikum. Merken Sie was? Bisher keinen Pieps zu den Leistungen des Ensembles. Darum ging es ja auch nicht. Oder?

=> zurück zur auswahl

www.jottwee.de text. tom waits in hanau.