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Max Maria von Weber

ehret max maria von weber

07 | 11 | 2007 | 7.Großauheimer Kleinkunstabend

Über uns Großauheimer wachen drei Dorfheilige.
Das sind:
- Der heilige Rochus
- Der heilige Nepomuk
- und - seit dem Jubiläumsjahr 2006 - die Edle Frau Irminrat.

Nun ist es ist höchste Zeit, dem einen vierten Namen hinzuzufügen.
Es geht um einen Mann, der in diesem Jahr seinen 185ten Geburtstag feiern konnte. Von der Öffentlichkeit völlig unbeachtet, ja schändlich ignoriert.
Ihm zu Ehren wurde kein Theaterstück geschrieben, keine Gedenktafel errichtet, nicht einmal eine Sackgasse im Neubaugebiet benannt. Ganz schlimm ist das.
Es geht um einen Mann, der das Geschick Großauheims und somit auch unser Schicksal mehr als alles andere bestimmt hat.
Es geht um:
Christian Philipp Max Maria von Weber.
 (geboren 1822 in Dresden, gestorben 1881 in Berlin). Max Maria von Weber war österreichischer Hofrat, preußischer Ministerialrat und   -   Eisenbahningenieur.
Er hinterließ der Nachwelt so erstaunliche Dinge wie: 
die Schienenbiegemaschine, den Führerstand für Lokomotiven und
die rote Mütze der Stationsvorsteher - die sogenannte "Webermütze".
Max Maria von Weber erstellte 1854 eine Studie zum Schienensuizid, in der er schrieb:
„Mit einigem Rechte kann man auch die Gefahren hierher rechnen, welche dem Betriebe durch das Gebaren von Personen erwachsen sind, welche den Tod unter den Rädern der Züge gefunden haben ... eine gute Bewachung der Bahn ..möge vielleicht hier und da eine solche bedauerliche Handlung verhüten.“
Als Konsequenz seiner Sorge um die Schrecken des lebensgefährlichen Molochs Eisenbahn entwickelte Max Maria von Weber das Nonplusultra der Schienensicherheit:  
Die Bahnschranke.
Die Bahnschranke dient der direkten Absicherung. Vollschranken sperren den Bahnübergang im gesenkten Zustand über die volle Straßenbreite hinweg und bewirken einen Vollabschluss.
-   So einfach ist das.

  1. Bahnhofstraße
  2. Wiesenstraße
  3. Rochusstraße
  4. Hanauer Landstraße
  5. Brückenstraße
  6. Heideäcker 1
  7. Heideäcker 2
  8. Benzstraße (unbeschrankt)
  9. Josef Bautz Straße (unbeschrankt)

Da staunt der Fremde und der Neubürger wundert sich:
Ja, Großauheim besitzt mehr als 9 dieser Wunderwerke des Industriellen Fortschritts!
 - dazu kommen noch etliche Straßenquerungen der Hafenbahn.
Wo gibt es noch so etwas in Deutschland, oder in Europa, oder auf der ganzen Welt?
Hören Sie auf, nachzudenken, glauben Sie mir einfach: Nirgendwo.
Die Großauheimer Beschränktheit ist einmalig.
Darauf können wir stolz sein!

Doch finstere Wolken ziehen hinter den geschlossenen Schranken auf:

Amtliche Bekanntmachung der Stadt Hanau vom 20.09.2007:
Planfeststellung nach § 18b Allgemeinem Eisenbahngesetz (AEG) für die Ausbaustrecke Fulda - Frankfurt (Main) (ABS 5),
Beseitigung der Bahnübergänge (BÜ) in Bahn-km 31,000 der Eisenbahnstrecke 3742, Friedberg (Hess) - Hanau (Main) Hbf, durch eine Eisenbahnüberführung (EÜ) (Fuß- und Radwegunterführung) in der Stadt Hanau, Stadtteil Grossauheim, Stadtstraße Heideäcker
Hanau, den 10.10.2007
Magistrat der Stadt Hanau
Kaminsky
Oberbürgermeister

Das stand vor ein paar Wochen im Hanauer Anzeiger, klammheimlich versteckt zwischen Tageshoroskop und Saunaclub.

Beseitigung der Bahnübergänge In den Heideäckern“ -
Das kann doch niemand wirklich wollen, oder?
Meine Damen und Herren, da müssen wir doch energisch gegensteuern!
Denn wenn die erste Schranke fällt, dann fallen bald danach auch alle anderen.
Dann ist Schluß mit der Schranken-Meditation, vorbei das Schwätzchen und gemeinsame Aufregen mit den Wartenden und keine Zeit mehr für das entspannte Nasebohren im stehenden Auto.

Die meisten von uns hier leben schon lebenslang mit den rot-weißen Stangen.
- Und, hat es uns geschadet?
Es gibt kaum ein ruhigeres und seelisch ausgeglicheneres Völkchen nördlich des Äquators als uns Großauheimer.
Wo sonst auf der Welt kann man eine im Karl Marx’schen Sinne klassenlose Gesellschaft erleben, als im Kontaktbereich am Bahnübergang?
Denn, um mit Mao Tse Tung zu sprechen:
„Vol del geschlossenen Schlanke sind alle Menschen gleich.“

Und diese Hochkultur der Menschheit wird nun leichtfertig und unbedacht aufs Spiel gesetzt!

Allein die fürchterlichen Auswirkungen auf die Volksgesundheit:
Wo sonst sieht man noch so fitte Senioren, Rentnerinnen und Greise, wie bei uns in Großauheim?
Schon beim ersten Bimmeln zieht hier jede Oma den Spurt an und flitzt hastdunichtgesehen über die Gleise. Da mag der Rollator auch noch so quietschen und ächzen!
Wo ist das Problem?
Und das soll nun zu Ende sein?
Der Magistrat und die Hanauer Stadtverordneten wollen das Todesurteil für den Bahnübergang Heideäcker unterzeichnen und so dem Schrankenmord Tür und Tor öffnen.
Sie spielen damit mit dem Seelenheil von über 12.500 unschuldigen Großauheimerinnen und Großauheimern.
Wo sonst sollen vom Alltagsstreß aufgewühlte Auheimer Seelen wieder zur inneren Ruhe kommen, wenn nicht vor der geschlossenen Schranke?
Ich prophezeie:
Binnen weniger Monate wird halb Auheim psychotherapeutische Hilfe nötig haben.
In ganz Hanau gibt es meines Wissens gerade mal 5 niedergelassene Psychotherapeuten. Das wird ein ganz schönes Gedränge auf den Sofas geben.
Zwei der fünf Seelenheiler haben ihre Couch hier in der Hauptstraße aufgestellt.
- Aber...Hmm.
Sicher ist es nur ein Zufall, daß beide Ärztinnen zugleich auch Stadtverordnete sind...oder?
Pfui dem, der hier Zusammenhänge sieht!
Ich möchte den politisch Verantwortlichen an dieser Stelle nur noch einmal ins Gewissen reden:
Wehret den Anfängen und bedenkt eure Schritte!
Keine Stimme für den Schrankenmord in den Heideäckern!
Denn mit den Auheimer Schranken wird auch ein Stück Kultur für immer fallen.

Wo entschied sich August Gaul zur Bildhauerei?
Wo verinnerlichten die Auheimer Musikprofessoren ihre Partituren?
Wo entschloß sich unser jetziger Oberbürgermeister, Politiker zu werden?
Vor den geschlossenen Bahnschranken, wo sonst.

Die größten Dichter unseres Landes wurden hier von der Muse geküßt.
Ein paar Beispiele:
Wer seine Schranken kennt, der ist der Freie;
wer sich frei wähnt, ist seines Wahnes Knecht.
Grillparzer


„Arm in Arm mit dir, so fordre’ ich mein Jahrhundert in die Schranken

Schiller - Don Carlos


Und Goethe brachte es natürlich genau auf den Punkt:
"Denn ein Gott hat
jedem seine Bahn
vorgezeichnet,
die der Glückliche
rasch zum freudigen
Ziele rennt:
Wem aber Unglück
das Herz zusammenzog,
Er sträubt vergebens
sich gegen die Schranken
".
Johann Wolfgang Goethe, Harzreise im Winter

Aber nicht nur die Großen Geister werden von der Aura der Auheimer Beschränkung beeinflußt. Auch viele namenlose und unbekannte Poeten finden sich selbst an diesem magischen Ort, während sie auf ICE und die Kahlgrundbahn warten.

Die Schranken
Die Schranken.
Die Schranken schwanken.
Die Flanken.
Die Flanken der Schranken.
Die rot-weißen Flanken der Schranken wanken.
Die schwankenden Schranken sanken.
Die schwankenden Schranken sanken
mit ihren rot-weißen wankenden Flanken
herab vor die blanken
Gleise.
   Scheisse.

...und mit solchen Perlen des Abendlandes soll es nun vorbei sein?
Nein, so weit darf es nicht kommen.

Werden wir also aktiv!
Die stärkste Waffe gegen den Schrankenmord schmieden wir mit dem Antrag an die Vereinten Nationen, das Großauheimer Bahnschrankenensemble als industriehistorisches Gesamtkunstwerk in das Welt-Kulturerbe aufzunehmen.
Das ist überhaupt kein Problem:
- Die Güter stellen ein einzigartiges, außergewöhnliches Zeugnis einer bestehenden Kultur sowie ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft dar.
Zeitgleich beantragen wir den Eintrag in die Rote Liste der UNESCO für akut gefährdete Kulturdenkmäler.
Die Pyramiden will ja auch niemand abreißen, weil sie keine Fenster haben und die Chinesische Mauer bekommt noch lange keine Mittelstreifen oder Parkbuchten, bloß weil es einer besseren Verkehrsführung dient.

Doch Aufpassen!
Zuerst müssen wir uns unsere Bahnschranken patentieren und schützen lassen. Denn die Chinesen werden sonst unsere Schranken kopieren, was das Zeug hält.
Wenn dann die Augen der Öffentlichkeit auf unser bedrohtes 8.Weltwunder gerichtet sind, wird die ganze Menschheit aufschreien!

Prominente werden Schrankenpatenschaften übernehmen:
Einer der reichsten Männer der Welt, Wilhelm Schranke, - besser bekannt als Bill Gates - finanziert ein OpenAirFestival vor den Bahnübergängen, die für ganze drei Tage geschlossen bleiben.
Bono und Gröhlemeyer singen mit den Banjoorys  einen aufrütteltend-herzerreissenden Protestsong:
No, Woman, no cry
die Schranke bleibt frei
Die Tour de France startet in Großauheim.
Dafür werden während des Rennens die Schranken um 90 Grad nach innen gedreht. So gibt es freie Fahrt für die Radler.
Und wer beim Doping erwischt wird, muß für einen Tag zum Entzug in den Todesstreifen zwischen den beiden Heideäcker-Bahnübergängen.
HaPe Kerkeling pilgert den Jakobsweg jetzt in die andere Richtung nach Großauheim und schreibt danach ein Buch über den Heiligen Bim-Bam.
Der Dalai Lama setzt sich mitten auf die Gleise und lacht dort so lange, bis die Lokführer der ganzen Nation beglückt und erleuchtet die Hälfte ihres Lohnes dem  Schrankenschutz spenden.
Sie werden ihre Lokomotiven erklimmen, um aus allen Himmelsrichtungen nach Großauheim zu fahren.
Mensch, wenn das schon zu Weihnachten klappen würde - Großauheim praktisch ein zweites Bethlehem - Das wäre ein Zeichen!

Liebe Leute, Ihr seht, es ist noch nicht alles verloren.
Wir sind die letzte Hoffnung der unschuldigen Schranken.
Sie haben doch niemandem etwas getan!
Ihr ganzes Leben lang kennen sie nur Bim-Bam, Bim-Bam und Auf-und-Ab und Auf-und-Ab. Sie meinen es doch nur gut mit uns.
Doch ihre Treue und Zuverlässigkeit wurde ihnen nie gedankt.
Dabei haben sie uns so viel gegeben: Ruhe, Besinnung und Frieden.
Jetzt ist die Zeit gekommen, unseren rot-weißen Freunden endlich ein wenig Dankbarkeit zurückzugeben.

Wenn der Kleinkunstabend hier zu Ende ist, will ich keinen sehen,
der sich klammheimlich nach hause hinter den Ofen schleicht
und so tut, als ginge ihn das alles nichts an.
Denn jetzt kann keiner mehr sagen, er habe von nichts gewußt.
Also, Großauheimer, seid bereit!
Ihr könnt euch hier und jetzt organisieren und weitere Pläne entwickeln. Ich werde ein Zeichen setzen:
Ich gehe jetzt zum Bahnübergang In den Heideäckern, um mich dort an die Schranken zu ketten.
Und in drei Stunden möchte ich da abgelöst werden.
Auf geht’s, Großauheimer, ich zähl auf Euch!
Rettet die Schranken!

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