< jottwee.de | Sprache - Schrift - Musik | Leben im Rhythmus |
hl.rochus

rochus

26 | 09 | 1997
„Mensch, hab‘ ich einen Rochus!“
Sie kennen das auch: Jedes Jahr nimmt man sich vor, das nächste Mal solle alles besser werden. Seit 21 Jahren schon veranstaltet der Gewerbeverein Groß­auheim seinen Rochusmarkt, und man könnte glauben, Erfahrung und Routine bestimmten das Geschehen.
Doch weit gefehlt. Sicher: Bereits im Frühjahr wird am Programm gefeilt, werden Ideen geboren und wieder verworfen. Doch so recht bedrohlich zeigt sich die Lage der Organisatoren erst in den letzten Wochen vor dem Tag X. Da platzen feste Zusagen, klaffen Lücken im ausgetüftelten Standsystem. Da möchten (selbstverständlich herzlich willkommene) Neumitglieder noch am Rochusmarkt teilnehmen. Da entpuppt sich ein kompakter Bierwagen als wahrer Tanklastzug. Oder die als Attraktion eingeplante Riesenschlange fällt ob der herbstlichen Witterung in tiefe Depressionen und ist demnach nicht so gut drauf.
Auch die bereits engagierten Fallschirmspringer, die mit wehender Großauheimer Flagge auf dem Rochusplatz landen wollen, nehmen nach einer Besichtigung der Großauheimer Häuserschluchten Abstand von ihrem gänsehauttreibenden Vorhaben. Und so geht das wirklich bis zum letzten Tag vor Marktbeginn. Da soll man manchmal keinen Rochus auf den Rochusmarkt haben!
Dabei lassen wir mit diesem unbedachten Spruch dem Heiligen Rochus großes Unrecht angedeihen. War er doch Zeit seines Lebens ein herzensguter Mensch. Vor fast 700 Jahren bereiste er als französischer Rucksacktourist die Lombardei und geriet mitten in die dort tobende Pest. Doch anstatt sie sprichwortgerecht zu meiden und zurück über die Alpen zu fliehen, blieb er, pflegte und betete für die Opfer. Es kam, wie es kommen mußte: Der gute Rochus infizierte sich. Doch er überlebte die üblicherweise definitive Seuche.
Allerdings war er durch die Krankheit dermaßen entstellt, daß er bei seiner Heimkehr nach Montpellier nicht erkannt, als Spion verhaftet und jahrelang eingekerkert wurde. Undank war schon damals der Welt Lohn! Die ihm Nachgeborenen allerdings ließen ihn wieder zu Ehren kommen: Sei es, daß in Venedig die Gondolieri ein prächtiges Fest feiern; sei es, daß ihm zum Lobe in Großauheim auf zentralem Platze eine Kapelle errichtet wurde und unter seinem Namen die eingeborenen Händler und Zünfte den Rochusmarkt ausrichten.
Doch damit nicht genug der Absolution. Wenn wir also einen Rochus auf irgendwas haben und somit ziemlich sauer sind, hat das mit dem ehrenwerten Heiligen rein gar nichts zu tun. Stammt doch das Wort „Rochus" in dieser Wendung aus dem Jiddischen (rochus, rauches) und bedeutet nichts anderes als „Ärger, Zorn". Wobei wir wieder beim Thema wären. Doch ganz so schlimm ist das „Rochusmarktmachen" nun auch wieder nicht.
Der Zorn verkocht, der Ärger verraucht schon bald. Und die Sonne scheint, und alles wird gut. So wie bei allen Rochusmärkten bisher, auch wenn es tatsächlich mal regnen sollte. Die gute Stimmung ist völlig wetterunabhängig. Kann ja auch nicht anders sein bei dem Publi­kum! Freuen wir uns also auf zwei abwechslungsreiche, interessante Tage. Sie, die Besucher, und wir vom Gewerbeverein Großauheim können den Rochusmarkt sicher kaum erwarten!
=> zurück zur auswahl

www.jottwee.de lokalamitäten. großauheimer kolumnen.